Erstellt am / von Ulrike Pawel / in EVENT, FLUGBETRIEB, JUGEND, VEREINSLEBEN

Fliegerlager 2024: Erbarmen, die Hessen kommen!

Nachdem die Jugendgruppe mit der Jugend des Aero Clubs Langenselbold (ACL) im vergangenen Jahr ein verregnetes, aber gesellschaftlich erfolgreiches Fliegerlager in Bensheim hatte, planten sie nun ein gemeinsames externes Trainingscamp. Eine Armada von gut 60 Personen, fast 20 Flugzeugen inklusive einem elektrischen Golfkart (als Rückholfahrzeug) startet, ihr Ziel im brandenburgischen Irgendwo: das Segelfluggelände Kammermark der Akaflieg Berlin.

Der Empfang war herzlich. Das Clubheim, ein ehemaligen Schulungsgebäude für Genossen und Genossinnen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, dem Ansturm gewachsen: großer Saal mit offenen Kamin, Billardtisch, Klavier, Edelstahlgroßküche, Betten, großzügige Dusch- und Waschräume, eine verwirrend Anzahl an Ein-, Aus- und sonstigen Gängen und, besonders beliebt, eine Sauna.

Tägliche Übung: Aufrüsten

Ankommen

Kaum das die Zelt- und Wohnwagenburg fertig aufgebaut war, feuerte Michael Fleckenstein (AC-Langenselbold) seinen mitgebrachten Grill an und lud die versammelte Mannschaft zu seinem (leckeren) Geburtstagsessen ein. Anschließend führte Fabian Rode (AC Langenselbold) höchst unterhaltsam und professionell die Teilnehmer des Workshops „Historische Stadtführung Kammermark“ durch die zwei Ortsstraßen. Hierbei hätten selbst die ca. 25 Einwohner über so viel Neues und völlig Unbekanntes ihres Ortes gestaunt…

Der erste Tag, „sonnig mit vereinzelten Wölkchen“, war zum einen ersten, kleineren Streckenflügen, zum anderen den Einweisungen in (ungewohnt weitläufiges) Gelände und Gerät gewidmet. Dabei zeigte sich die Diesel-Winde mit ihren zehn Zylindern (Eigenbau auf dreiachsigen Tatra 148) gegenüber Fremden in der Bedienung als etwas eigenwillig und „bissig“. Der „Biss“ erwies sich später in der Pritzwalker Notaufnahme Gott sei dank als relativ harmlos.

Auch der nächste Tag erfreute mit einem angenehmen Sonnen-Wolkengemisch. Wieder lockten Streckenflüge. Aus der Winde hängenzubleiben war relativ problemlos möglich. Müde und hungrig freute sich die Fliegermeute auf das von einem Caterer gelieferte Abendessen. Doch dieser war wohl nicht informiert, wie hungrig Segelflieger sein können. Kein Krümmel blieb übrig, dafür aber vereinzelt noch Restappetit. Das rührige Organisationsteam löste in zähen Nachverhandlungen dieses Catering-Problem, genau wie den sich anbahnenden Getränkeengpass, denn hier ist die Getränkeversorgung rein privat organisiert.

Getränkelieferant Andy Boml, Nachschub gesichert – für die nächsten 2-3 Tage…Foto: Thomas Beck

Wettrüsten

Tag 3 frischte der Wind deutlich auf. Das Aufrüsten der Einsitzer und die Schulung lief routiniert, das kurze Wetterfenster vor dem ersten Gewitter wurde optimal genutzt und rechtzeitig alles wieder sicher eingepackt. 1:0 für die Segelflieger
Nach dem Regen schien die Sonne als wäre nichts gewesen. Schon drängelten die Flugschüler und -Schülerinnen, doch bitte eine zweite Runde zu starten. Die Bitte wurde von Fluglehrer und Windenfahrer gewährt, jedoch nur für die Einsitzer, welche ruck zuck wieder aufgebaut waren. Kaum bemerkte Petrus die Flugbewegungen, schon schickte er erneut dunkle, grummelnde Wolken. Doch abermals waren die Flieger schneller, 2:0.

„Wer sich heute früh über das laute Rauschen wunderte, das ist kräftiger Wind. Der wird uns heute treu bleiben, am Abend wird’s nass“, erläuterte Peter Simon die Wetterlage. Sonnige Abschnitte aber auch vereinzelte kleine Schauer sorgten für reichlich Abwechslung im Schulungsbetrieb. „Die nächste Dusche wird heftiger, wir machen Feierabend“. So zogen sich die die Bensheimer schon am frühen Nachmittag zurück. Langenselbold flog weiter. Dieses Mal gewannen die dicken Regenwolken, Stand 2:1.

Geschafft – rechtzeitig vor dem Regen

Weites Land – tolle Streckenflüge

Am nächsten Morgen kreiste ein Seeadlerpärchen am Himmel. Ein gutes Omen, auch wenn anfangs die Wolkenbasis sehr niedrig und wenig einladend war. Doch im Gegensatz zur Bergstraße stehen/liegen die „Berge“ hier verstreut in der Landschaft, sind meist unter 100 m, selten an die 200 m hoch. So wird die Weite der Gegend erst aus der Vogelperspektive richtig deutlich und der Mut steigt, einfach loszufliegen. „Ich bin heute zu meinem alten, ca. 100 km entfernten Heimatort geflogen. Das ist von hier deutlich näher als von Bensheim aus“, berichtete lachend Mattis Kaumann. Ein anderer junger Fliegerkamerad hatte weniger „Thermikglück“ und absolvierte erfolgreich seine erste Außenlandung. Während die Rückholmannschaft loszog, startet am späten Nachmittag die „Ostsee-Bade-Rotte“, bestehend aus dem Bensheimer Motorsegler und dem Langenselbolder UL. Gut erfrischt landetet das vierköpfige Team am späten Abend wieder in Kammermark.

Imposanter Anblick: Seltene Seeadler

Nach einer kühlen Nacht grüßte strahlend blauer Himmel und Sonne das Fliegerlager und löste damit eine gewisse Unruhe am Boden aus: „Auf nach oder besser um Berlin“ lautete die Losung.
Ergebnis: Dreimal über 500 km (Glückwunsch an Thorben Triegel für seinen ersten Streckenflug-Diamanten), ein Typenstreckenflug über knapp 470 km (mit einer Schnittgeschwindigkeit von 96 km/h!), eine Streckenflugeinweisung über 655 km und eine Gesamt-Tagesleistung von über 4.000 km (dokumentierte Flüge) – und das alles aus der Winde heraus! Hier ein Dank an die Windenfahrer und -fahrerinnen, die stets gut zu tun hatten.
An diesem Abend waren alle satt: sowohl was das Fliegen/den Flugbetrieb als auch was das Essen betraf. Die örtlichen Kraniche schienen mit ihrem unverkennbaren Trompetenrufen der allgemeinen Begeisterung ebenfalls zustimmen zu wollen.

Vor dem Start zaubern entstehende Thermikwölkchen ein Lächeln in die Gesichter

Bundesliga-Rennen

Auch am Samstag tags darauf war das Wetter zu gut, als dass sich die Streckenflieger hätten ausruhen können. „Es steht wieder eine Ligarunde an “, sinnierte Peter Simon. „Vielleicht schaffen wir es ja, mit einer gute Wertung den drohenden Abstieg aus der 2. Segelflugbundesliga abzuwenden.“ Eine Umrundung Berlins klappte heute nicht ganz, aber wieder wurden die 500 km geknackt, auch wenn insgesamt etwas weniger Kilometer als am Vortag geflogen wurden.

Für die Liga zählen zwar auch Streckenkilometer, doch liegt der Schwerpunkt auf der Geschwindigkeit innerhalb des 2,5 stündigen Wertungszeitraumes. Drei Bensheimer (Franzi Pawel, Peter Simon, Stefan Schneider) fast punktgleich mit jeweils über 100 Speedpunkten, das gab es bisher selten und bescherte den Bensheimer einen hervorragenden 3. Rundenplatz. Mit diesem „Punkteregen“ konnten sie sich zwei Plätze im Gesamtklassement vorschieben. Das ist noch nicht ganz aus der Abstiegszone, aber nur noch 4 Punkte vom Klassenerhalt entfernt. Das könnte innerhalb der verbliebenen Runden zu schaffen sein.

Der Sonntag verlief in Sachen Streckenflug geruhsamer, d.h. es waren mehr regionale Flüge und in Summe „nur“ 1000 km. Eine Truppe nutze den „privaten Vereinsbus“ zu einem Badetrip an die Ostsee.

Fazit der ersten Woche aus Bensheimer Sicht:

Abwechslungsreiches Wetter, tolle Streckenflüge, lehrreich sowohl für Anfänger als auch für Profis, LS4 auf-/abrüsten wird Routine, super Stimmung und gemeinsam jede Menge Spaß.

Oder in Zahlen (nur SFG ohne AC Langenselbold!): 160 Starts, ca. 125 Stunden Flugzeit, 8.429 km dokumentierte Streckenflüge, 3. Rundenplatz der 2. Segelflugbundesliga

Entspannungsübungen: Yoga vor dem Ausräumen der Halle – Qigong vor dem Streckenflug

Funksprüche:

  • „Bitte nicht auf der öffentlichen Straße fahren, sondern auf den parallverlaufenden Flugplatzwege bleiben. Also nicht die Schlaglochpiste, sondern den besseren Feldweg.“
  • „Hier das Bombodrom, ehemaliges Bombenabwurfgebiet: Nicht landbar, und wenn, nicht aussteigen, sondern ruhig sitzenbleiben, auf die Spezialisten = Minensuchtrupp warten zwecks Bergung…“
  • „Berliner Sightseeingtour: Tegel ist nicht mehr aktiv. Falls ihr dort landen solltet, dann sagt bitte, ihr kommt vom Nachbarflugplatz Pritzwalk-Sonnenberg….“
  • „Wind: In der Höhe sehr kräftig.“ – „Dann fliegen wir halt nur am Boden.“
  • In der Küche: „Diese Spültabs bitte vorher auspacken, das verbessert das Spülergebnis ungemein.“
  • Beim Aufrüsten: „Die Schraube für die Winglets geht nicht rein.“ – „Hm, könnte dauern, bis Du mit der Schraube das passende Gewinde im Lüftungsloch gedreht hast. Nimm doch einfach das andere Loch, wo schon das richtige Gewinde drinn ist…“
  • „Oha, ist was passiert? Der Seilwagen kommt ohne Seile!“ -“ Könnte daran liegen, dass die Winde noch fehlt…“
  • Nach dem Seilriss „Das Seil in Schlaufen in den Lepo zu legen war wohl keine gute Idee?“ – „(zensiert)- Idiot!“ – „Okay, hab‘ verstanden, keine gute Idee.“
  • An der Bensheimer Elektrowinde: „Sollte nicht eine Klappleiter an der E-Winde angebracht werden, damit es unsere älteren Mitglieder etwas leichter haben, die steile Stiege zu erklimmen?“ – „Nö, ist gecancelt. Es soll ein Treppenlift installiert werden. Strom ist genug da.“
  • Startleiter: „Segelflugzeug an Moorleiche, äh Moorseil startbereit.“
  • „Bis ich das ganze Wetter studiert und kapiert habe, ist der Tag vorbei!“
  • Zwei lautstarke Diskussionen am Start „Ich kenne jetzt mindestens zwei Personen, die ganz dringend einen Äppelwoi brauchen.“
  • Briefing, sehr gutes Wetter vorhergesagt „Wer will heute mit was auf Strecke?“ „Ich – mit der Winde nach Kyritz“
  • „Ihr hättet heute gar nicht um Berlin fliegen müssen, ihr hättet auch mittendurch fliegen können. Dank weltweiter IT-Probleme war der Flughafen stillgelegt…“
  • „Gestern 650 km und heute schon wieder am Start. Du bist doch auch schon älter. Macht dir das lange Fliegen gar nichts aus?“ – „Nö. Streckenfliegen scheint für mich wie ein Jungbrunnen zu sein…“
  • „Blöd, wenn man seinen Wendepunkt in eine aktive Sprungzone legt. Doppelt blöd, wenn man die Strecke zweimal fliegen will…“