Werkstattstammtisch: „Angefangen hatte alles vor ungefähr 40 Jahren“
Stammtisch – da denkt man an einen runden Tisch in der Kneipe, an dem mehr oder weniger alte Männer bei einem Bier Geschichten aus längst vergangenen Tagen erzählen, diskutieren, was man alles täte und wie man die Welt verbessern würde, wenn man denn nur so könnte, wie man wollte. Anders bei der Segelfluggruppe Bensheim.
Hier treffen sich vier ältere Herren, Fritz Baum (87 Jahre) Klaus Koser senior (85), Mike Burger (76) und Hartmut Bauer (73), regelmäßig zum Stammtisch in der Werkstatt, wollen nicht viel, tun einfach das, was sie können. Und sie können eine Menge und tun Einiges. En passant verbessern sie so jede Woche ein Bisschen mehr die Welt der Segelflieger in Bensheim.
Routiniert steht Koser an der Drehbank und beginnt nebenbei zu erzählen: „Angefangen hatte alles vor ungefähr 40 Jahren, mit der Grundüberholung der Elster“. Genauer der „Pützer Elster“, ein Motorschleppflugzeug, das 1977 die Segelflugzeuge in die Luft ziehen sollte, aber zunächst in einem sehr schlechten Zustand war. In Abstimmung mit dem Luftfahrtbundesamt und dem Hersteller erfolgte die Grundüberholung unter der Führung von Fritz Schader Senior durch die Vereinsmitglieder, darunter auch Koser und Baum. Mit der erfolgreichen Abnahme bekamen beide ihre offizielle Lizenz als Motorflugzeug- bzw. Motorseglerwarte überreicht. Ab nun kümmerten sich Baum und Koser um die Wartung und Instandhaltung der „Elster“, später unterstützt von Gottfried Diehl.
1988 wurde der vereinseigene Motorsegler Scheibe Falke 25 gegen eine moderne Dimona H36 ersetzt. Damit verlegten die beiden Diplom-Ingenieure ihren Schwerpunkt auf die Wartung des Motorseglers und bekamen bald Hilfe von Hartmut Bauer, dem dritten Diplom-Ingenieur und Motorseglerwart in der Runde. Gottfried Diehl übernahm die Funktion des hauptamtlichen Motorwarts der Elster.
Ein besonderer Kraftakt war die große Inspektion der Dimona im Winter 2000/2001 nach 3000 Betriebsstunden. Die Drei führten die Überprüfung mit behördlicher Genehmigung in Eigenleistung durch, wobei sie von einigen Klubkameraden unterstützt wurden. Die Ersparnis für den Verein: satte 30.000 DM!
Auch als die Herren langsam ihre aktive fliegerische Laufbahn beendeten, arbeiteten sie trotzdem in der Werkstatt weiter. „Ich fliege seit 2004 nicht mehr aktiv, nach 52 Jahren Fliegerei. Erst trafen wir uns jeden Samstag und Sonntag. Aber jetzt haben wir uns auf Samstag beschränkt, das reicht auch,“ merkt Baum an, während er das Werkstück von Koser entgegennimmt und begutachtet. Neben den ständigen Arbeiten und Reparaturen entwickelten sie eine verbesserte Kühlluftführung für den Motor der Dimona, die das Luftfahrtbundesamt mit einer Einzelzulassung absegnete.
Burger stieß als Letzter zur Truppe. Er selbst war erst bei der Bundeswehr, anschließend 27 Jahre bei der Lufthansa Pilot und natürlich Segelflieger wie die anderen. „Ich habe mich schon immer für Technik begeistert und mich dann vor 20 Jahren, hier angeschlossen. Es hat einfach Spaß gemacht, mit den Dreien zusammenzuarbeiten. Hier gibt es immer neue Herausforderungen, es bleibt stets interessant und man lernt nie aus. Jetzt darf ich sogar schon Sachen alleine machen,“ erläutert er augenzwinkernd und rückt wieder der eingespannten Metallstange mit der Säge zu Leibe.
Mit dem Kauf des neuen Motorseglers, einer Super-Dimona, im Jahre 2011 gingen die Wartungsarbeiten in die Hände jüngerer Vereinskollegen über. Aber legten nun die vier Herren ihre Hände in den Schoß und die Füße nur noch auf’s Sofa? „Nee, das wäre viel zu langweilig. Hier auf dem Flugplatz gibt es doch immer was zu werkeln und gemeinsam macht’s mehr Laune, als zu Hause im stillen Kämmerlein,“ entgegnet Bauer. „Und wir brauchen das ja auch für uns, damit wir fit bleiben. Unsere grauen Zellen wollen gefordert werden, sonst werden wir ja noch ganz düddelig,“ ergänzt Baum und wendet sich seiner mit Computer und CAD gezeichneten Konstruktionsskizze zu. Schon sind die Herren wieder in einer ruhigen Diskussion vertieft, wie man an jener Stelle den Plan vielleicht doch noch optimieren könnte. Hier muss sich niemand mehr beweisen. Man weiß, was man kann und was der Kollege möglicherweise besser drauf hat. Es herrscht eine entspannte, konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Man merkt den Herren Ingenieuren an, wie sie es genießen, ihre Lösungsansätze und Pläne mit handwerklichem Geschick selbst umzusetzen.
Die Ergebnisse sind vielfältig und können sich sehen lassen: beispielsweise das große Rolltor, der Umbau des ASK21-Hängers, die praktischen Absperrschranken für die Zugangswege am Flugplatz, oder aktuell: die Rumpf-Dreh-Vorrichtung für Reparaturen an den Segelflugzeugen, selbstverständlich inklusive der entsprechenden Aufhängung, um das sperrige Gerät nach Gebrauch wegzuräumen.
Aber auch scheinbar unauffälligere Aktionen gehen auf ihr Konto: die Batterieversorgung und Elektrik des Startwagens, zahlreiche Reparaturen an den Fahrzeugen wie z. B. eine Zylinderkopf-Reparatur oder ein Getriebewechsel („Ach, an den Autos ist eigentlich ständig irgendwas zu reparieren“), die Anhängeraufzüge, Optimierung der Auslegearme für die Seile am Seilrückholwagen, das Hebegestell für Flugzeuge, Umbau der Seilwinde auf Scheibenbremsen – alles Dinge, die das Segelfliegerleben in Bensheim ein Wenig einfacher gestalten.
Zeit für eine Pause. Und jetzt sitzen sie tatsächlich im Vereinsheim am Stammtisch – nein, nicht beim Bier, sondern bei Apfelsaftschorle, Butterbrot, Kaffee und Kuchen. Ja, dann werden auch mal Geschichten erzählt. Man lacht zusammen, bespricht eine Lösung für ein aufgetretenes Problem oder baldowert neue Ideen aus. Gerade hat Vereinskamerad Oliver Pawel ein paar Fotos in der Runde gezeigt. „Diesen praktischen Hallenkuller habe ich in Dannstadt gesehen. Könnt ihr so was für uns nachbauen?“ „Hm, mal sehen. Das dürfte nicht allzu schwer sein. Aber erst müssen wir die Halterung noch fertigbauen,“ lautet die Antwort. Zügig bringen sie das benutzte Geschirr wieder zurück in die Küche und es geht erneut in die Werkstatt. Bis zum Nachmittag wird getüftelt und gewerkelt. Schließlich beenden die Männer zufrieden ihr Tagwerk, räumen ihren Arbeitsplatz auf („Sonst findet man nächste Mal nix mehr!“) und verabschieden sich per Handschlag. „Ich schweiße noch schnell die Haken zurecht, dann können wir nächste Woche mit dem neuen Projekt beginnen,“ ruft Bauer seinen Kollegen noch zu.
Und ein weiteres Mal ist die Welt der Bensheimer Segelflieger dank der vier junggebliebenen Herren aus der Werkstatt wieder ein Stückchen besser geworden.
Plötzlich dreht sich einer der Herren nochmal um:“Aber nicht, das jemand denk, wir wären die einzigen. Es gibt hier einige, die ehrenamtlich viel mehr für den Verein leisten, als sie eigentlich müssten, ganz ohne großes Aufsehen. Das hält den Laden am Laufen und darf nicht vergessen werden…“ Wohl wahr.